Kürzlich ist ein Artikel von mir in der Zeitschrift Political Geography erschienen, der die Geschichten von OpenStreetMap in Israel und Palästina miteinander vergleicht.
Der Beitrag setzt an zwei widersprüchlichen Ausgangsbeobachtungen an: einerseits findet eine Öffnung und Egalisierung kartographischer Praktiken im Web 2.0 statt, andererseits existiert in Israel/Palästina eine lange Tradition konflikthafter und antagonistischer Kartographien. Im Zentrum des Artikels steht die Frage, inwiefern durch OSM eine Fortschreibung oder eine Neuaushandlung umkämpfter Kartographien in Palästina und Israel stattfindet.
Hierfür wird die Genese von OSM in Israel und in Palästina anhand zentraler Entwicklungslinien und Debatten aufgearbeitet. Dabei werden, einem mixed-methods-Ansatz folgend, data mining Verfahren und geostatistische Analysen der OSM-Datenbank mit qualitativen Interviews sowie Auswertungen zahlreicher weiterer Dokumente der OSM community verknüpft.
Im Ergebnis zeigt sich, dass OSM in der Region von israelischen Mappern dominiert ist, während sich bislang keine palästinensische OSM-community gebildet hat. Als eine wichtige Ursache für diese ungleiche Beteiligungsstruktur wird das ground-truth-Paradigma von OSM angesehen, also einer Richtlinie, nach der Dinge kartiert werden sollen, die auch tatsächlich vor Ort sichtbar sind. Dieses Vorgehen impliziert die unhinterfragte Kartierung bestehender materieller Raumstrukturen und stößt daher eher bei einer israelischen Perspektive auf die Region auf Akzeptanz als bei einer palästinensischen.
Die Folge ist, dass die Daten von OSM in israelisch kontrollierten Gebieten (dazu zählen beispielsweise auch die jüdischen Siedlungen im Westjordanland) meist detailreicher sind als in palästinensischen Gebieten. Auf diese Weise schreibt sich die fragmentierte politische Geographie der Region wie ein Fußabdruck in die Daten (und die Karten) von OSM ein, ohne dass OSM selber ein Austragungsort des Konfliktes zwischen PalästinenserInnen und Israelis wäre.
Der Artikel ist hier zu finden:
(Wer keinen Zugriff auf die Zeitschrift hat, kann mich gerne nach einer privaten Kopie fragen: christian.bittner[at]fau.de)